| Veranstaltung: | SPD Thüringen Landesparteitag 2025 |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | 8.2 Initativanträge |
| Antragsteller*in: | KV Saalfeld-Rudolstadt |
| Status: | Zurückgezogen (Quorum verfehlt) |
| Angelegt: | 18.11.2025, 09:01 |
INI: Einführung und gesetzliche Verankerung von Produktionsschulen als besonderer Schultyp im Thüringer Schulgesetz
Antragstext
Der SPD-Landesparteitag möge beschließen:
Die Thüringer Landesregierung wird aufgefordert, im Thüringer Schulgesetz die
Schulform der Produktionsschule als besondere Bildungseinrichtung für junge
Menschen ohne Schulabschluss, mit besonderem Unterstützungsbedarf oder mit
schulischer Distanz zu verankern.
Ziel dieser Verankerung ist es, eine rechtliche und dauerhafte Grundlage für
Produktionsschulen in Thüringen zu schaffen, die
- schulische und berufliche Bildung in praxisnaher Form verbinden,
- niedrigschwellige Zugänge zu Bildung und Ausbildung eröffnen,
- benachteiligte Jugendliche stabilisieren und zu einem Schulabschluss sowie
einer beruflichen Perspektive führen,
- und damit einen wirksamen Beitrag zur Fachkräftesicherung im Freistaat
leisten.
Die Finanzierung der Produktionsschulen soll als dauerhafte Landesförderung
außerhalb der regulären arbeitsmarktpolitischen Vergabemechanismen geregelt
werden, um Kontinuität, Planungssicherheit und institutionelle Nachhaltigkeit zu
gewährleisten.
Öffentliche und freie Träger sollen die Möglichkeit erhalten, Produktionsschulen
zu gründen und zu betreiben, die sich an den Qualitätsstandards des
Bundesverbandes Produktionsschulen e.V. (BVPS) orientieren oder diese erfüllen.
Begründung
- Ausgangslage und Zielgruppe
In Thüringen wächst die Zahl junger Menschen, die ohne Schulabschluss, ohne Ausbildung oder ohne Beschäftigung bleiben – sogenannte „NEETs“ (Not in Employment, Education or Training).
Diese jungen Menschen haben die Schule ohne Abschluss verlassen, häufig mehrfach Maßnahmen abgebrochen und finden keinen Zugang zu Ausbildung oder Beschäftigung. Sie werden von den bestehenden Instrumenten des Bildungs-, Jugend- und Sozialwesens kaum noch erreicht.
Nach Angaben des Thüringer Sozialministeriums leben derzeit rund 7.000 Jugendliche im Freistaat, die weder einen Berufs- noch einen Schulabschluss besitzen.
Der Bericht der Jugendberufshilfe Thüringen e.V. (2023) belegt diese Entwicklung:
- Drei Viertel der arbeitslosen Jugendlichen (rund 4.900 Personen) verfügen über keine abgeschlossene Berufsausbildung.
- Ein Viertel der jugendlichen Arbeitslosen hat keinen Schulabschluss.
- 88 % der langzeitarbeitslosen jungen Menschen in Thüringen sind ohne Berufsabschluss.
Hinzu kommt eine nur schwer erfassbare Zahl junger Menschen, die dem Unterricht dauerhaft fernbleiben oder aufgrund von Sprachbarrieren, psychischen Belastungen oder fehlender Förderung nicht mehr regulär beschult oder benotet werden.
Diese Zielgruppe fällt nicht nur aus dem Bildungssystem, sondern zunehmend auch aus statistischer Erfassung und sozialstaatlicher Unterstützung heraus.
Sie ist zugleich jene Gruppe, deren Zahl in Thüringen am stärksten wächst – und deren soziale Desintegration langfristig gravierende Folgen für Gesellschaft, Arbeitsmarkt und regionale Entwicklung hat.
- Produktionsschule als Lösung
Produktionsschulen sind international bewährte Einrichtungen, die Lernen durch Arbeiten ermöglichen. Sie richten sich gezielt an junge Menschen, die im klassischen Schul- oder Ausbildungssystem keinen Platz finden. Sie verbinden praktische Arbeit in betriebsnahen Strukturen mit pädagogischer Begleitung, etwa durch Werkstattpädagogen und Sozialpädagogen.
Das Konzept sieht vor:
- Arbeit und Lernen in einem realen Produktionsprozess,
- Aufträge aus Wirtschaft und Gesellschaft zur Förderung von Selbstwirksamkeit,
- individuelle Lernrhythmen,
- finanzielle Anerkennung (z. B. Grundvergütung plus Leistungsprämie), - und die Möglichkeit, Schulabschlüssenachzuholen.
Produktionsschulen arbeiten dabei nicht mit formalen Noten oder Sanktionen, sondern mit persönlicher Entwicklung, Eigenverantwortung und sozialer Stabilisierung.
Die Jugendlichen erfahren, dass sie gebraucht werden und dass ihre Arbeit etwas wert ist – eine Erfahrung, die für viele nach Jahren schulischer Misserfolge entscheidend ist.
- Aktuelle Entwicklungen in Thüringen
Das Thüringer Sozialministerium unter der Leitung der SPD-Ministerin Katharina Schenk hat für den Herbst 2026 den Start eines Pilotprojektes „Produktionsschule Thüringen“ angekündigt. In vier Thüringer Regionen sollen jeweils 16 junge Menschen im Rahmen eines Modellversuchs die Chance erhalten, dieses Konzept kennenzulernen.
Dieses Vorhaben ist ausdrücklich zu begrüßen und verdient große Anerkennung. Es setzt ein deutliches politisches Signal, dass die Landesregierung die besondere Problemlage dieser Jugendlichen ernst nimmt.
Gleichwohl bleibt festzuhalten:
- Das Pilotprojekt ist zeitlich befristet und regional begrenzt.
- Es wird in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit umgesetzt und ist damit an Ausschreibungs- und Vergaberegelngebunden.
- Diese Struktur führt zwangsläufig zu Unterbrechungen und Unsicherheiten für Teilnehmende und Träger, wenn Förderzyklen enden.
Das Pilotprojekt ist daher ein wichtiger, aber nur erster Schritt. Eine gesetzliche Verankerung der Produktionsschule im Thüringer Schulgesetz ist jedoch zwingend erforderlich, um diese Einrichtungen dauerhaft, verlässlich und flächendeckend zu etablieren.
- Gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Nutzen
Produktionsschulen können einen wichtigen Beitrag zur sozialen und wirtschaftlichen Stabilität Thüringens leisten.
Produktionsschulen schaffen:
- Zugang zu Bildung für Jugendliche, die sonst dauerhaft ausgeschlossen bleiben,
- soziale Stabilisierung und Motivation durch reale Arbeit und erfahrungen von Selbstwirksamkeit,
- Heranführung an Ausbildung und Beruf durch praxisnahe Lernformen und individuelle Begleitung,
- eine nachhaltige Fachkräfteentwicklung für Thüringen - und eine spürbare Entlastung der Regelschulen.
Gerade Regelschulen, Förder- und Gemeinschaftsschulen stehen zunehmend unter Druck, weil sie mit einer wachsenden Zahl von Schülerinnen und Schülern mit komplexen Lern- und Verhaltensproblemen konfrontiert sind. Produktionsschulen können hier zielgerichtet auffangen, stabilisieren und begleiten, wo das Regelschulsystem an seine strukturellen und personellen Grenzen stößt.
Damit tragen Produktionsschulen nicht nur zur individuellen Förderung bei, sondern auch zur Entlastung der Lehrkräfte und Schulen, zur Verbesserung des Unterrichtsklimas und letztlich zur Stärkung des gesamten Thüringer Bildungssystems.
Jede Produktionsschule, die einen jungen Menschen erfolgreich in Ausbildung oder Arbeit führt, spart dem Land mittelfristig erhebliche Sozialkosten, trägt zur Entlastung der Sozialsysteme bei und stärkt zugleich den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Teilhabein unseren Regionen.
- Fazit
Das für Herbst 2026 geplante Pilotprojekt ist ein starkes und notwendiges Signal. Doch um die wachsende Gruppe der rund 7.000 Jugendlichen ohne Schul- und Berufsabschluss in Thüringen wirklich zu erreichen, braucht es mehr als Projektförderung: Es braucht Struktur, Verlässlichkeit und gesetzliche Verankerung.
Der SPD-Kreisverband Saalfeld-Rudolstadt fordert daher:
- die Verankerung von Produktionsschulen als Schultyp im Thüringer Schulgesetz,
- eine landesweite Ausbaustrategie in allen Regionen,
- sowie eine institutionelle, kontinuierliche Finanzierung, die den Trägern Planungssicherheit und den Jugendlichen Stabilität bietet.
Nur so kann Thüringen seiner sozialen Verantwortung gerecht werden – und zugleich eine bislang verlorene Generation junger Menschen wieder in Bildung, Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe zurückführen.

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