| Antrag: | Für ein modernes, grundrechtskonformes und handlungsfähiges Polizeiaufgabengesetz |
|---|---|
| Antragsteller*in: | Jusos Thüringen, KV Altenburger Land, ASJ, KV Kyffhäuserkreis, Nordhausen, Saalfeld-Rudolstadt, Saale-Holzland-Kreis, Saale-Orla-Kreis, Schmalkalden-Meiningen, Wartburgkreis, Weimarer Land |
| Status: | Zurückgezogen |
| Eingereicht: | 21.11.2025, 14:30 |
Ä1 zu J3: Für ein modernes, grundrechtskonformes und handlungsfähiges Polizeiaufgabengesetz
Titel
Ändern in:
Für ein transparentes, grundrechtsorientiertes und demokratiefestes Polizeiaufgabengesetz – Kritische Begleitung der PAG-Novelle und Einrichtung einer breit legitimierten Arbeitsgruppe
Antragstext
Der Landesparteitag möge beschließen:
1. Positionierung zur PAG-Novelle
Die SPD Thüringen erkennt die Notwendigkeit einer Modernisierung des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes an. Zugleich stellt der Landesparteitag fest, dass der vorliegende Entwurf des Innenministeriums in zentralen Punkten verfassungsrechtliche, grundrechtliche und demokratietheoretische Fragen berührt.
Der Landesparteitag hält fest, dass die im Entwurf vorgesehenen Maßnahmen u. a.
· präventive elektronische Aufenthaltsüberwachung (elektronische Fußfesseln),
· KI-gestützte Videoüberwachung,
· Distanz-Elektroimpulsgeräte im Regelbetrieb,
· digitale Rasterfahndung,
· Gesichtserkennung und Stimmabgleich,
· automatisierte Kennzeichenerfassung
je nach konkreter Ausgestaltung der Maßnahmen tief in die Grundrechte eingreifen und deshalb hinsichtlich ihrer Notwendigkeit, ihrer Verhältnismäßigkeit und damit ihrer verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit höchsten rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen müssen. Dies betrifft insbesondere das Vorhandensein ausreichender Kontroll- und Missbrauchsschutzmechanismen.
Der Landesparteitag stellt weiterhin fest, dass ein Teil der Mitglieder der SPD Thüringen dem Entwurf der Novellierung des Thüringer Polizeiaufgabengesetz kritisch gegenübersteht und die Notwendigkeit der Eingriffe, ihre Verhältnismäßigkeit und damit ihre verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit als nicht hinreichend dargelegt betrachtet.
Wir fordern daher die Landtagsfraktion auf, diese Maßnahmen im Gesetzgebungsverfahren kritisch zu prüfen, in Teilen gegebenenfalls zurückzuweisen und dafür Sorge zu tragen, dass mit den Regelungen die Grundrechte gewahrt, strukturelle Diskriminierung und politischer Missbrauch verhindert wird.
2. Gemeinsame Grundüberzeugungen
Die SPD Thüringen bekräftigt:
· Sicherheit und Freiheit sind untrennbar miteinander verbunden.
· Jede Erweiterung polizeilicher Befugnisse bedarf strikter Grundrechtsbindung und muss vollständig verhältnismäßig, transparent und kontrollierbar ausgestaltet sein.
· Ein Polizeiaufgabengesetz darf niemals Instrumente schaffen, die ein zukünftiger autoritärer Staat missbrauchen könnte.
· Änderungen am ThürPAG können nur mit demokratischen Mehrheiten beschlossen werden.
3. Einrichtung einer neuen, breit legitimierten Arbeitsgruppe
Zur strukturierten innerparteilichen Beratung der unter Ziffer 1 aufgeführten Maßnahmen wird eine Arbeitsgruppe „PAG-Novelle“ mit folgender Struktur eingerichtet:
a) Zusammensetzung:
· 2 Vertreter*innen der Jusos Thüringen
· 2 Vertreter*innen des Landesvorstandes
· 2 Vertreter*innen aus Kreisverbänden
· 2 Vertreter*innen der Landtagsfraktion
· 1 Vertreter*in der Landesregierung
· 1 Vertreter*in der ASJ
· 1 externe verfassungsrechtliche oder polizeiwissenschaftliche Fachperson
· 1 externe zivilgesellschaftliche Stimme aus dem Bereich Bürgerrechte / Datenschutz
b) Arbeitsweise:
· Die AG arbeitet transparent; Protokolle werden allen Parteiebenen zugänglich gemacht.
· Kritische Minderheitenpositionen werden ausdrücklich im Bericht der AG dokumentiert.
· Die AG erhält ein Mandat, verfassungsrechtliche Bewertungslinien herauszuarbeiten und die Position der Partei für das parlamentarische Verfahren vorzubereiten bzw. dieses zu begleiten.
· Die AG arbeitet konsensorientiert, aber nicht konsensverpflichtet; Dissens wird sichtbar gemacht.
· Die AG tagt mindestens monatlich und lädt bei Bedarf zusätzliche Expertise ein.
4. Ergebnisbericht und Einbindung in das parlamentarische Verfahren
Die AG legt dem Landesvorstand und der Landtagsfraktion fortlaufend Einschätzungen zu den relevanten Kritikpunkten vor und erarbeitet spätestens vor Abschluss der parlamentarischen Beratungen eine gemeinsame oder – sofern erforderlich – differenzierte Positionierung der Partei.
Begründung:
Die Novellierung des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes (ThürPAG) gehört zu den zentralen innenpolitischen Vorhaben dieser Legislatur. Die im Gesetzentwurf des Innenministeriums vorgesehenen neuen Befugnisse – darunter elektronische Aufenthaltsüberwachung, KI-gestützte Videoüberwachung, Distanz-Elektroimpulsgeräte, digitale Rasterfahndung, Gesichtserkennung, Stimmabgleich und automatisierte Kennzeichenerfassung – berühren wesentliche Grund- und Freiheitsrechte und greifen tief in die private Lebenssphäre der Bürger*innen ein. Zahlreiche dieser Maßnahmen sind nach Auffassung einiger Mitglieder in ihrer aktuellen Form hinsichtlich ihrer Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit und verfassungsrechtlichen Zulässigkeit nicht hinreichend begründet oder mit wirksamen Kontrollmechanismen unterlegt.
Gleichzeitig zeigt sich in den vorliegenden Anträgen zum Thüringer Polizeiaufgabengesetz (Anträge J2, J3 und J4), dass wir grundlegende gemeinsame Wertvorstellungen vertreten. Vor dem Hintergrund zunehmender rechtsextremer Mobilisierung und parlamentarischer Einflussgewinne antidemokratischer Kräfte ist besondere Sensibilität geboten. Ein Gesetz, das tief in Grundrechte eingreift, muss so ausgestaltet sein, dass seine Befugnisse nicht missbraucht werden können – weder heute noch unter potenziell veränderten politischen Mehrheiten. Dies macht eine besonders sorgfältige, transparente und fachlich belastbare Prüfung aller vorgeschlagenen Maßnahmen erforderlich.
Denn eines ist für uns klar, die Eingriffsbefugnisse dürfen im Falle zukünftiger politischer Mehrheiten nicht zu einem Instrument gegen Demokratie, Minderheiten oder politische Gegner werden. Daher teilen wir gemeinsam die Überzeugung: Ein Polizeiaufgabengesetz darf niemals Möglichkeiten schaffen, die ein autoritärer Staat missbrauchen könnte.
Ebenso besteht Einigkeit zwischen uns, dass Änderungen am ThürPAG ausschließlich mit einer Mehrheit demokratischer Kräfte im Thüringer Landtag beschlossen werden dürfen.
Neben den voran dargestellten Gemeinsamkeiten sind wir uns aber auch bewusst, dass wir zu einigen Punkten divergierende fachliche und politische Auffassungen vertreten. Dies lässt sich beispielhaft an den folgenden Maßnahmen darstellen:
a) Präventive elektronische Aufenthaltsüberwachung
Einige von uns sehen darin ein legitimes, aber eng begrenztes und richterlich kontrolliertes Instrument zur Gefahrenabwehr.
Andere von uns lehnen diese Maßnahme wegen der mit ihr verbundenen tiefen Grundrechtseingriffe, und möglicher Missbrauchsrisiken ab
b) KI-gestützte Videoüberwachung
Einige von uns sehen erhebliche Risiken: intransparente Algorithmen, Diskriminierungsgefahren, Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung und die Gefahr schleichender Massenüberwachung.
Andere von uns sehen darin die Möglichkeit, moderne Technik verantwortungsvoll zur Gefahrenfrüherkennung einzusetzen.
c) Einsatz von Distanz-Elektroimpulsgeräten (Taser / DEIG)
Einige von uns halten die Einführung für ein mögliches milderes Mittel zwischen Schlagstock und Schusswaffe.
Andere von uns verweisen auf die realen Verletzungsrisiken, Todesfälle, Eskalationsgefahren und lehnen eine breite Einführung ab.
Diese Vielfalt an Bewertungen ist für uns Ausdruck einer lebendigen, demokratischen Parteikultur. Wir erkennen an, dass wir zu diesen Fragen derzeit unterschiedliche Perspektiven haben. Gemeinsam haben wir jedoch den Willen konstruktiv, respektvoll und ergebnisoffen weiter zu beraten und damit verbundene Detailfragen zu klären, sowie Lösungen für die bestehenden Unterschiede zu suchen.
Damit wir den Austausch strukturiert durchführen können, ist die Einrichtung einer Arbeitsgruppe bei der Landtagsfraktion der geeignetste Weg, um auch:
- verfassungsrechtliche, sicherheitspolitische und technische Expertise einzubeziehen,
- eine gemeinsame Grundlage für verantwortungsvolle Entscheidungen zu schaffen,
- interne Diskussionen geordnet zu begleiten und die interne Demokratie zu stärken.
Mit dieser Arbeitsgruppe wird gewährleistet, dass der Gesetzgebungsprozess kontinuierlich, transparent und kritisch begleitet wird. Minderheitenpositionen werden nicht überdeckt, sondern ausdrücklich dokumentiert. Der Partei wird so ermöglicht, eine fundierte, differenzierte und verantwortungsvolle Position in das parlamentarische Verfahren einzubringen. Ziel ist es, gemeinsam dafür zu sorgen, dass das ThürPAG modernisiert wird, ohne Grundrechte auszuhöhlen, rechtsstaatliche Standards zu unterlaufen oder strukturelle Diskriminierungen zu verstärken.
Die SPD Thüringen sendet damit ein deutliches Signal: Sie gestaltet Sicherheitspolitik demokratisch, grundrechtsorientiert und mit maximaler Transparenz – und setzt dabei auf offenen Austausch, gemeinsame Verantwortung und klare Schutzmechanismen gegenüber jeder Form politischen Missbrauchs.

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