Veranstaltung: | SPD Thüringen Landesparteitag 2025 |
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Tagesordnungspunkt: | 8 Antragsberatung und Beschlussfassung |
Antragsteller*in: | Juros Thüringen |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 14.10.2025, 09:14 |
J5: Kein Fussbreit dem Faschismus – rechte Netzwerke konsequent zerschlagen, Betroffene endlich schützen!
Antragstext
Im Mai 2025 kam es bundesweit zu Razzien gegen mehrere Jugendliche zwischen 14
und 18 Jahren - auch in Thüringen, etwa im Altenburger Land und im Ilmkreis. Den
Beschuldigten wird vorgeworfen, Teil des rechtsterroristischen Netzwerks „Die
letzte Verteidigungswelle“ zu sein und sich zu Brandanschlägen auf
Geflüchtetenunterkünfte und linken Einrichtungen verabredet zu haben. Sie
versuchten gar nicht, ihr Ziel zu verschleiern: das demokratische System der
Bundesrepublik zu stürzen. Mittlerweile fühlen sich Rechte so sicher, dass sie
glauben, die eigene Agenda nicht mehr verheimlichen zu müssen.
Doch bei bloßen Ankündigungen blieb es nicht: Am 05. Januar 2025 wurde in
Schmölln ein Anschlag auf die lokale Geflüchtetenunterkunft verübt. Steine
wurden durchs Fenster geschmissen, Wände mit rassistischen Parolen beschmiert
und Pyrotechnik gezündet, um das Gebäude in Brand zu stecken. Der Tod der
Bewohner:innen wurde nicht nur in Kauf genommen, sondern von Beginn an
einkalkuliert. Dass bei dem Übergriff lediglich eine Person verletzt wurde, ist
ausschließlich dem Zufall geschuldet. Es war nicht die erste Tat - die beiden
Beschuldigten sollen seit Jahren für Übergriffe verantwortlich sein. Das ist
kein „Ausrutscher“, und vor allem keine „Jugendsünde”, sondern beispielhaft für
ein bundes- und landesweites Muster: Ob in Schmölln, im Ilmkreis, in Suhl oder
Erfurt. Die Rechtsextremen trauen sich mehr denn je aus ihren Löchern, ihre
Ideologie gewinnt an Zulauf, rechtsextreme Übergriffe häufen sich und die
Täter:innen werden immer jünger - und vor allem gewaltbereiter.
Spätestens seit den rechtsextremen Belagerungen von CSD-Veranstaltungen im
letzten Sommer ist klar: Die Szene befindet sich in einem krassen Aufschwung.
Die abscheulichen Szenen des wütenden Mobs am Leipziger Hauptbahnhof haben sich
in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Ob „Deutsche Jugend Voran”, lokale
Ableger der Jungen Nationalisten, der Jugendorganisation der Partei „Die
Heimat”, ehemals „NPD”, wie etwa die „Gersche Jugend” oder die „Elblandrevolte”
oder parteiungebundene Gruppierungen - die Szene ist stramm organisiert. Dabei
sprechen die Rechtsextremen gezielt Jugendliche mit ihrer Propaganda an. Laut
Verfassungsschutzbericht 2024 haben 25 % der Jugendlichen in Thüringen rechte
oder rechtsextreme Einstellungen. Das kommt nicht von ungefähr. Die Szene sucht
seit Jahren planvoll die Nähe zu Jugendlichen - online, im Sportverein, im
Jugendclub. Der einst totgesagte Sumpf der extremen Rechten umfasst in Thüringen
heute rund 3.300 Personen - und er wächst weiter.
Rechte Gewalt macht 54 % aller politisch motivierten Gewalttaten in Thüringen
aus. Im Schnitt gibt es vier rechtsmotivierte Angriffe pro Woche. Das sind
doppelt - ja doppelt - so viele wie im Vorjahr und ein Trend, dem wir uns
unentwegt entgegenstellen werden. Es darf nicht wieder zum Normalzustand werden,
dass rechtsextreme Schlägertrupps durch unsere Straßen ziehen! Die
Baseballschlägerjahre sind vorbei und es liegt an uns, dass das auch so bleibt.
Doch der Rechtsextremismus war nie weg, genauso wenig wie rassistische,
homophobe, queerfeindliche und antisemitische Gewalt. Im Gegensatz zu heute
haben Gesellschaft und Medienöffentlichkeit in der Vergangenheit lediglich
weggeschaut.
Es genügt eine andere Hautfarbe, ein politisches Statement auf der Kleidung oder
ein religiöses Symbol zu tragen, um ins Visier rechtsextremer Gewaltäter:innen
zu geraten. Menschen werden beleidigt, eingeschüchtert und angegriffen. BIPoC,
queere und linke Menschen fühlen sich in Thüringen schon lange nicht mehr
sicher. Die Gewalt ist enthemmt, findet am helllichten Tage auf offener Straße
statt - und das Thüringer Innenministerium schaut zu. Zivilgesellschaftliche
Organisationen warnen seit Jahren vor der wachsenden rechten Bedrohung, der
Vernetzung der Szene und ihrer immer besseren Finanzierung.
Die strukturierte Aufbauarbeit der rechten Szene in den vergangenen Jahren trägt
Früchte, die Szene wächst stetig weiter und erlangt vermehrt öffentliche
Aufmerksamkeit. Die Behörden stehen dem unvorbereitet gegenüber. Jahrelang haben
es das Innenministerium in Thüringen, das Bundesinnenministerium und auch die
Bundesregierungen verschlafen, das Problem anzugehen. Viel schlimmer noch, sie
haben das Problem totgeschwiegen. Das ist nicht nur eine sicherheitspolitische
Bankrotterklärung, sondern auch ein Offenbarungseid des eigenen politischen
Versagens.
Neben der tagtäglichen Bedrohungslage für Leib und Leben stellt die
rechtsextreme Gewalt noch eine weitere nicht zu unterschätzende Gefahr dar,
nämlich für unser aller politisches Engagement - und damit schlussendlich auch
für unsere Demokratie. Wenn Menschen sich zweimal überlegen, ob sie den linken
Jutebeutel tragen, den Button am Rucksack oder den Sticker am Laptop zeigen,
oder „linke“ Erkennungszeichen im Bus oder der Straßenbahn lieber verdecken, ist
das keine „private Sicherheitsmaßnahme”. Es ist der Beweis, dass der Staat
seinen verfassungsrechtlich garantierten Schutzpflichten nicht nachkommt! Es
darf nicht weiter geschwiegen, verharmlost und weggeschaut werden. Es wird
allerhöchste Zeit, dass der Staat seinen Aufgaben endlich konsequent nachkommt:
die rechte Gefahr erkennt, benennt und handelt!
Der Landesparteitag der SPD Thüringen möge daher beschließen:
- Zivilgesellschaftliche Demokratieförderung dauerhaft absichern
Zivilgesellschaftliche Träger sind Schlüsselakteure im Kampf gegen Rechts. MoBiT
und viele vor allem auch lokale Initiativen sorgen für Prävention, Beratung und
Schutz demokratischer Räume, werden aber oft nur projektfinanziert. Es ist ein
Skandal, dass die Initiativen, die seit Jahren vor den Gefahren von rechts
warnen und Betroffene schützen, jedes Jahr aufs neue um ihre Existenz bangen und
für ihre weitere Förderung kämpfen müssen. Wir fordern die Landesregierung
deswegen dazu auf, die sofortige und dauerhafte Absicherung der Förderprogramme
für Initiativen gegen Rechtsextremismus und die Neue Rechte zu gewährleisten und
dies verbindlich in den kommenden Haushalten zu verankern. Wir fordern außerdem
die Bundesregierung dazu auf, endlich ein Demokratieförderungsgesetz vorzulegen,
das die stabile Finanzierung demokratischer Bildungs- und Präventionsarbeit
sicherstellt. Demokratie kostet, aber das sollte sie uns wert sein!
- Mobile Beratung und niedrigschwellige Hilfsangebote ausbauen und
finanzieren
Insbesondere im ländlichen Raum breiten sich die Rechtsextremen aus und haben
teilweise schon die Oberhand in einzelnen Ortschaften und Nachbarschaften
gewonnen. Dort fühlen sie sich sicher, unbeobachtet und können den herrschenden
Frust über bestehende Missstände für ihre Propaganda und Mobilisierung nutzen.
In diesen Orten sind insbesondere die mobilen Beratungsstellen die ersten
Anlaufstellen für Betroffene, für konkrete Hilfe. Beratungsstellen können
außerdem dabei helfen, die rechte Durchdringung von Jugendkulturen zu erkennen
und pädagogisch zu intervenieren. Wir fordern eine flächendeckende und
langfristige Finanzierung durch eine feste Landesförderung, damit nicht nur die
Städtekette, sondern auch die ländlichen Regionen die mobilen Beratungen rund um
die Uhr an jedem Ort in Thüringen in Anspruch nehmen können.
- Systematische Demokratieförderung in Schule und Jugendarbeit
Gute Demokratiebildung und Antidiskriminierungsarbeit schützen vor
Rechtsradikalisierung. Wir fordern die Landesregierung - insbesondere das
Bildungsministerium - dazu auf, verbindliche Demokratieförderung und
Antidiskriminierungsarbeit im Lehrplan zu verankern, entsprechende Lehrkonzepte,
Fortbildungen und Materialien für Lehrkräfte bereitzustellen sowie die
Zusammenarbeit mit außerschulischen Trägern der Demokratieförderung im
umfassenden Umfang zu finanzieren. Dabei ist wichtig, dass Demokratie auch
erlebbar ist und nicht nur theoretisch vermittelt wird.
- Gegenstrategien gegen Radikalisierung im digitalen Raum entwickeln
Digitale Räume sind Rekrutierungsorte. Die Neue Rechte nutzt sehr gezielt virale
Formate und Plattform-Algorithmen. Wir fordern landesweite Programmen zur
digitalen Medienbildung in Schulen und Jugendeinrichtungen - inklusive
spezialisierter Angebote zur Erkennung und zum Debunking neurechter Narrative
und Verschwörungsmythen. Einem pauschalen Social-Media-Verbot für unter 16-
Jährige erteilen wir eine klare Absage. Statt Verboten braucht es Aufklärung und
Bildung - auch in der Erwachsenenbildung, weil Desinformation alle Altersgruppen
trifft. Außerdem dürfen die Plattformbetreiber nicht aus der Verantwortung
gelassen werden: rechte Hetze, HateSpeech und Desinformation müssen konsequent
gelöscht werden, Profile von Akteuren der rechtsextremen Szene dürfen keine
Accounts auf den entsprechenden Plattformen haben.
- Monitoring ausbauen und länderspezifische Lagebilder erstellen
Wer wegschaut, kann das Problem nicht erkennen. Um endlich ein klares Bild der
Szene, ihrer Ansätzeund Akteure zu gewinnen und entsprechend handeln zu können,
fordern wir die Förderung unabhängiger Forschung zu Strategien der Neuen
Rechten. Die anhaltende Ignoranz schützt die Szene, wir müssen endlich wissen,
was passiert.
- Rechtsextreme Straftaten konsequent verfolgen
Wenn Nazis keine Strafe zu befürchten haben, gibt es keinen Grund für sie zu
stoppen. Es braucht endlich konsequente Strafverfolgung. Deswegen fordern wir
mehr Personal bei Polizei und Justiz, um die zügigen Verfolgung von
Hasskriminalität und rechten Delikten sicherstellen zu können sowie
verpflichtende Fortbildungen für Richter:innen, Staatsanwält:innen und Polizei
zu rechter Ideologie, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, digitaler Hetze
und deren Erkennungszeichen. Wir fordern Schwerpunktstaatsanwaltschaften gegen
Hasskriminalität und rechte Netzwerke, fokussiert auf rechtsmotivierte Delikte.
- Opferschutz und Opferberatung stärken; Opferschutzbeauftragte:n einführen
Beratungsstellen für Betroffene werden kaputt gespart, die psychosoziale
Beratung schrittweise von einem sowieso nur geringen Niveau weiter
zurückgeschraubt. Dabei sind Einrichtung wie elly, die Beratungsstelle gegen
Hatespeech, essenziell, um Betroffene rechter, rassistischer oder
antisemitischer Gewalt emotional, psychosozial, praktisch zu begleiten. Wir
fordern deswegen den Ausbau staatlich finanzierter Opferberatungsstellen und
deren umfassende Finanzierung. Betroffene rechte Gewalt dürfen nicht alleine
gelassen werden. Wir schließen uns der Forderung von ezra nach Einführung eines
Opferschutzbeauftragten in Thüringen (angesiedelt an der Staatskanzlei) an. Die
SPD-Bundestagsfraktion soll sich für einen bundesweiten Rechtsanspruch auf
psychosoziale Prozessbegleitung für Opfer rechter Gewalt einsetzen. Es darf
nicht mehr bei leeren Worten des Mitleids bleiben, es müssen endlich Taten
folgen.
- Rechtsstaatliche Resilienz erhöhen
Rechtsextreme Netzwerke in Sicherheitsbehörden sind reale Gefahr. Nicht nur
einmal wurden sie aufgedeckt. Aber statt nachhaltiger Konsequenzen oder
Veränderungen im System, um solche zukünftig zu verhindern, wurden die Skandale
totgeschwiegen, ausgesessen und nach dem Aufschrei der Öffentlichkeit
weitergemacht wie bisher. Damit muss endlich Schluss sein. Eine Demokratie kann
keine Faschist:innen in Uniform dulden. Denn damit beschleunigt sie ihren
Verfall. Wir fordern deswegen die unabhängige Beobachtung von Polizei und
Sicherheitsbehörden hinsichtlich rechter Netzwerke und rassistischer Vorfälle
und bekräftigen unsere Forderung nach einer unabhängigen Behörde, die Missstände
in der Polizei verfolgt und aufklärt. Es braucht Transparenzpflichten für
Sicherheitsbehörden bei der Aufdeckung von rechten Strukturen, um die schnelle
und konsequente Entfernung Betroffener aus dem Dienst sowie zügige, unabhängige
Ermittlungen sicherzustellen.
- Keine Feuerkraft für Faschos
Wir dürfen es nicht länger hinnehmen, dass Rechtsextreme im Besitz von
Waffenscheinen und Waffen sind. Ihnen muss konsequent die Berechtigung zur
Nutzung und des Besitzes von Waffen entzogen werden. Das Landesinnenministerium
fordern wir deswegen dazu auf, bei seiner harten Linie zu bleiben und die
Verwaltungen dazu anzuweisen, diese Linie konsequent umzusetzen. Außerdem
fordern wir das Bundesinnenministerium dazu auf, schnellstmöglich eine
bundesweite Regelung zu schaffen, die es ermöglicht, Rechtsextreme konsequent zu
entwaffnen. Es darf nicht länger mit der Beschlagnahmung aller Waffen im
rechtsextremen Milieu gewartet werden. Das nächste Opfer ist sonst nur eine
Frage der Zeit.
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