Veranstaltung: | SPD Thüringen Landesparteitag 2025 |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | 8 Antragsberatung und Beschlussfassung |
Antragsteller*in: | SPD-Kreisverbände Altenburger Land, Kyffhäuserkreis, Nordhausen, Saalfeld-Rudolstadt, Saale-Holzland-Kreis, Saale-Orla-Kreis, Schmalkalden-Meiningen, Wartburgkreis, Weimarer Land |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 14.10.2025, 07:57 |
J3: Für ein modernes, grundrechtskonformes und handlungsfähiges Polizeiaufgabengesetz
Antragstext
Der Landesparteitag möge beschließen:
Die SPD Thüringen unterstützt die von der Landesregierung beabsichtigte
Novellierung des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes (PAG) ausdrücklich.
Ziel ist ein modernes, verfassungsfestes und an den technologischen sowie
gesellschaftlichen Wandel angepasstes Polizeirecht, das die Polizei befähigt,
Gefahren effektiv abzuwehren, Straftaten vorzubeugen und gleichzeitig die Grund-
und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen.
Die SPD Thüringen bekräftigt: Sicherheit und Freiheit sind keine Gegensätze –
sie bedingen einander.
Eine starke Demokratie braucht sowohl eine handlungsfähige Polizei als auch
klare rechtliche Grenzen, die den verfassungsrechtlichen Grundsätzen und der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsprechen.
Begründung
1. Notwendigkeit der Novelle
Seit der letzten größeren Änderung des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes haben sich sowohl die rechtlichen Rahmenbedingungen als auch die praktischen Anforderungen an die Polizeiarbeit erheblich verändert.
Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen – u. a. zu verdeckten Datenerhebungen, zur automatisierten Kennzeichenerfassung und zum Wesentlichkeitsgrundsatz – präzisiert, dass polizeiliche Eingriffsbefugnisse klar, verhältnismäßig und transparent geregelt sein müssen.
Zugleich verändern digitale Technologien, Künstliche Intelligenz (KI) und neue Formen der Cyberkriminalität die Sicherheitslage in einem Ausmaß, das eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen erforderlich macht.
Die beabsichtigte Novelle trägt dem Rechnung, indem sie sowohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts systematisch umsetzt als auch die technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen berücksichtigt.
2. Stärkung des Schutzes vor häuslicher Gewalt und Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung
Ein zentraler Aspekt der PAG-Novelle betrifft die Stärkung des Schutzes vor häuslicher Gewalt und die Schaffung einer klaren, abgestuften Rechtsgrundlage für Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im persönlichen Nahbereich.
Mit dem neuen § 18a PAG werden erstmals Kontakt-, Annäherungs- und Rückkehrverbote gesetzlich normiert, die bislang auf Generalklauseln gestützt waren.
Damit schafft das Gesetz Rechtssicherheit, Transparenz und einen verbesserten Opferschutz.
Die Maßnahme ist zeitlich streng befristet (in der Regel auf 14 Tage) und kann nur verlängert werden, wenn ein Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz gestellt wurde und noch keine gerichtliche Entscheidung vorliegt.
Darüber hinaus ist die Polizei verpflichtet, Betroffene über Hilfsangebote und Beratungsstellen zu informieren und sowohl Täter*innen als auch Opfer in geeignete Beratungs- und Präventionsstruktureneinzubinden.
Dies stärkt den präventiven Charakter der Maßnahme und mindert das Risiko erneuter Gewalteskalationen.
Ergänzt wird diese neue Schutzarchitektur durch die Möglichkeit einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung (§ 34g PAG).
Diese kann angeordnet werden, wenn eine Person trotz eines bestehenden Kontakt- oder Aufenthaltsverbots eine erhebliche Gefahr für Leben, Gesundheit, Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person darstellt.
Das Mittel dient damit dem Schutz besonders gefährdeter Personen – etwa in Fällen häuslicher Gewalt, Stalking oder bei drohenden schweren Gewalttaten.
Zugleich ist die Maßnahme grundrechtsintensiv und daher an strenge rechtsstaatliche Hürden gebunden:
- Sie steht unter Richtervorbehalt, das heißt, eine Anordnung darf nur durch richterliche Entscheidung erfolgen.
- Sie ist befristet und nur zur Abwehr einer konkreten Gefahr für erhebliche Rechtsgüter zulässig.
- Sie darf nur dann eingesetzt werden, wenn mildere Mittel nicht ausreichen, um die betroffene Person zu schützen.
- Die Überwachung erfolgt ausschließlich zur Einhaltung räumlicher Auflagen (z. B. eines Annäherungsverbots) und nicht zur allgemeinen Bewegungsverfolgung.
Damit wird eine Balance zwischen effektivem Opferschutz und Grundrechtsschutz geschaffen:
Die elektronische Aufenthaltsüberwachung greift zwar in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und die Freizügigkeit (Art. 11 GG) ein, geschieht aber auf einer klar bestimmten gesetzlichen Grundlage, mit richterlicher Kontrolle und zeitlicher Begrenzung.
Ziel ist nicht die dauerhafte Überwachung einer Person, sondern der Schutz der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) gefährdeter Menschen – insbesondere von Frauen und Kindern.
Über den Kontext häuslicher Gewalt hinaus kann diese Maßnahme auch bei anderen Straftaten von erheblicher Bedeutung Anwendung finden, etwa zur Abwehr von konkreten Gefahren für hochrangige Rechtsgüter insbesondere im Zusammenhang mit terroristischen Gefährdern und gewaltbereiten Extremisten, der Überwachung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter, der Verhinderung von besonders schweren Fällen der Nachstellung (sog. „Stalking“) sowie der Überwachung und Durchsetzung von Weisungen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt.
Entscheidend bleibt aber stets die konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter und die gerichtliche Anordnung im Einzelfall.
Damit zeigt das SPD-geführte Innenministerium, dass moderner Gewaltschutz nicht mit symbolischer Härte, sondern mit rechtlich klaren, überprüfbaren und verhältnismäßigen Mitteln umgesetzt wird.
Die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung stärkt den Schutz der Opfer, ohne das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit aufzugeben.
3. Verbesserung des operativen Opferschutzes (§ 30a PAG)
Mit der Einführung des operativen Opferschutzes wird eine eigenständige Befugnis geschaffen, gefährdete Personen – z. B. Opfer von Gewaltdelikten oder deren Angehörige – durch Tarnidentitäten und Datenabschirmung zu schützen.
Diese Regelung schließt eine Lücke zwischen polizeilicher Gefahrenabwehr und strafprozessualem Zeugenschutz.
Sie ist besonders für Frauen, die von Stalking, organisierter Gewalt oder Ehrenverbrechen bedroht sind, von hoher Bedeutung.
Die Maßnahme bedarf hoher formeller Hürden (Behördenleitervorbehalt, schriftliche Begründung, Befristung) und wahrt damit die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung(Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG).
4. Modernisierung der Datenerhebung und -analyse
Ein weiterer Schwerpunkt der Reform ist die Anpassung der Regelungen zur Datenerhebung bei öffentlichen Orten und Veranstaltungen (§ 33 PAG) an den Stand der Technik.
Ziel ist, moderne technische Mittel – insbesondere KI-basierte Mustererkennung und Nachverfolgungsfunktionen – rechtlich klar zu regeln und zugleich Missbrauch auszuschließen.
Konkret:
- Die automatisierte Verhaltensmustererkennung soll es ermöglichen, Gefahrenlagen (z. B. Gewalteskalationen, Brandentwicklung, Amokhandlungen) frühzeitig zu erkennen.
- Es handelt sich ausdrücklich nicht um biometrische Gesichtserkennung; eine individuelle Identifizierung findet erst statt, wenn tatsächliche Gefahrenmomente vorliegen.
- Die eingesetzten Systeme sind nicht lernfähig (keine selbstlernende KI) und dürfen nur auf bereits trainierte Muster reagieren – ein wichtiges Schutzkriterium gegen intransparente KI-Entscheidungen.
- Die Entscheidung über konkrete polizeiliche Maßnahmen trifft immer noch eine Polizeibeamtin oder ein Polizeibeamter.
Damit wird der Polizei ein Instrument an die Hand gegeben, Gefahren früher zu erkennen, aber nicht Menschen massenhaft zu überwachen.
Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ist verhältnismäßig, da:
- die Datenerhebung offen erfolgt (Hinweispflichten),
- Löschfristen bestehen (i.d.R. 30 Tage),
- und ein Richtervorbehalt bzw. behördliche Kontrolle bei besonders eingriffsintensiven Maßnahmen vorgesehen ist.
5. Grundrechtsschutz als Leitlinie
Die SPD Thüringen erkennt an, dass jede Erweiterung polizeilicher Befugnisse sorgfältig mit den Grundrechten abzuwägen ist.
Der Entwurf des neuen PAG stellt sicher, dass:
- jede Grundrechtseinschränkung ausdrücklich genannt und verfassungsrechtlich begründet wird (Art. 19 Abs. 1 GG – Zitiergebot),
- das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Gebot zur klaren Eingriffsschwelle und zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung umgesetzt ist,
- und Richtervorbehalt, Dokumentationspflichten und Transparenz integraler Bestandteil der Eingriffsbefugnisse bleiben.
Damit wird gewährleistet, dass die Polizei zwar über moderne Mittel verfügt, diese aber nur unter strengen Voraussetzungen einsetzen darf – stets mit dem Ziel, die Freiheit zu schützen, nicht sie einzuschränken.
6. Fazit
Die SPD Thüringen unterstützt die Novellierung des PAG, weil sie
- Rechtssicherheit schafft,
- die verfassungsgerichtlichen Vorgaben konsequent umsetzt,
- den Opferschutz stärkt,
- den Einsatz moderner Technologien verantwortungsvoll ermöglicht
- und den Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit wahrt.
Wir wollen eine Polizei, die stark ist im Recht, nicht im Verdacht.
Die vorliegende Novelle ist ein Schritt zu einem zeitgemäßen, grundrechtskonformen und zukunftsfähigen Polizeigesetz für Thüringen.
Kommentare